WG97 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, Montag, 7. oder Dienstag, 8. November 1910

erweise mir diese überschwängliche
Woltat u schreibe mir noch einmal

 Heute kam kein Brief von
Dir, aber ich habe Deinem meinem \Wunsch/
Vorsatz getreu die Besorgnis, die
sich einschlich

 aber ich habe Betrachtungen da-
rüber angestellt.

 ich weiß Dein Herz ist
schwer und bang

 Ich lasse Dich nicht Du
segnest mich denn \dann wirst
Du mich immer geduldig finden./

  Wahlverwandte

 Unwohlsein

  zum Trost habe ich alle Deine
unsagbar lieben Briefe gelesen und
bin tief bewegt über das \der Reihe/ unser selt-
sames großes Schicksal

 Dein Haupt an meine
Brust drücken.

  bin Einsiedler geworden

 Ich sehe niemand, bin \sitze/
von morgens bis Abends im
Zimmer u arbeite, die Stunden
der Liebesbriefe sind meine
einzige schöne Erholung.

  meine Welt ist in mir

 \Komponierst Du mir etwas?

  Dein Bild!! ich

 hungere nach deinen Zügen./

Sie wollen Dich bewachen, damit
Du mich vergißt

 Ich bin krank vor Sehnsucht
Diesen Winter hinschleppen und
verdorren

 fürchte keine Untreue.

________________
verzweifelt. \Es ist da bestimmt etwas, was ich nicht weiß/
Bist Du ihm ganz wieder Gattin ge-
worden? u hast Du deshalb nicht
geschrieben. Ich bin ganz zerrissen.

____________ \Es ist mir selbst schrecklich, daß noch
irgend ein Zweifel aufwacht, aber dies ist die Folge des Schweigens/

 Ich halte es nicht aus

 Ich werde trübsinnig, schon
jetzt habe ich solche Anwandlungen
mit jedem Briefe sinken meine
Hoffnungen tiefer. – Aber es giebt
nirgends eine Rettung.

 Diese Rücksicht muß er nehmen
der eine hilft dem andern, Du hast
das Opfer gebracht bei ihm zu bleiben,
so soll er Dir zw eine kleine Ruhe
gönnen; denn für uns alle er-
wächst daraus Möglichkeit des
Fortbestehens – wir sind doch auch
nur Menschen – und beide mit
endlosem Gefühl. \Dazu hat niemand das Recht/
\Jeder muß etwas aufgeben/ – Ich bin dem Wahnsinn
nah – \Ich hoffe denn wo so geliebt wur.[de]/wenn man so liebt giebt
es kein Halten, keine Hindernisse.
Du dachtest auch einst so.

 Wenn man will, daß Du mich
vergißt wehre ich mich – denn es geht mir
damit ans Leben. Es beginnt die Ver-
teidigung \denn ich liebe Dich so rein
wie es nie wieder geschehen kann./

[am linken Blattrand:]
Wenn Du so fühlst wie ich, verlange im Notfall

des Willens zweifeln.

 Wann glaubst Du, daß ein
Wiedersehn möglich ist? auch da-
rauf schreibst Du mir nichts
und hüllst Dich über so vieles
in Schweigen. Hältst Du es
für möglich im Winter zu
mir zu kommen? Ich werde
toll vor Freuden wenn ich
daran denke.

 Gestern spintisierte ich
über die Grenzen Deiner Liebe
als ich wieder

 Banale Tatsachen gemeinsten
Denkens stehen weit im Range
vor den Erschütterungen der Seele

 Ich sollte es lieber
nicht tun, damit Du nicht
an meiner Festigkeit des
Willens Zweifel bekommst.

 Die toten kalten Buchstaben
auf die wir zu meinem stillen
Zorn angewiesen sind verführen
so leicht zu falschem Glauben
Wirklich c’est \sentiment/ le ton qui fait
la musique. Du brauchtest
mich nur ansehn u weißt was
ich will, statt dessen muß
ich für einen Gedanken 7 Seiten
schreiben

  \ rührende Sorgfalt/

  \Deine /

Du weckst alle Energien in
mir auf, ich will Dich mir
erkämpfen und um diesen
kostbaren Einsatz würde ich
Dinge wagen, die über das
gewöhnliche Maß hinausgehn.

 Leib u Seele ist
etwas unteilbares

 Deine Liebenswürde u
Größe – Deine Au[s]gelassenheit
u verstummende Hingebung.

 Dein Lächeln ist gütige
Verheißung.

 Grund u Ursache aller
schönen menschlichen Dinge
ist die wolerschaffene Sinnlichkeit

 all die Herrlichkeiten
der Erwartung, des Zweifels, des
ersten Wortes

 die süße Wachheit Deiner
halb gebrochenen Stimme u die
reinen schweren Blicke


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

4 Bl. (4 b. S.) – Notizblock.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Antwort auf AM43 vom 27. Oktober 1910 (Wenn Du willst, so werde ich Dir täglich schreiben): Heute kam kein Brief von Dir.

Datierung

Aufgrund der Korrespondenzstelle sowie der Formulierung erweise mir diese überschwängliche Woltat u schreibe mir noch einmal[.] Heute kam kein Brief von Dir muss dieser Entwurf einen Tag nach dem 6. November 1910, dem sehr wahrscheinlichen Ankunftstag von AM43, entstanden sein. Da in WGs Liste an AM abgesandter Briefe WG92 am 8. November die Nr. 7 aufgeführt ist, wird als Datierung des vorliegenden Entwurfes der 7. oder 8. November 1910 vorgeschlagen.

Übertragung/Mitarbeit


(Tim Reichert)


A

Ich lasse […] segnest mich denn – Wiederholung eines Bibelzitats aus AM5 vom 20. Juli 1910.

B

\dann […] finden/ – in Tinte.

C

\Komponierst […] Zügen./ – letzter Absatz des Blattes in Tinte.

D

\Gustavs […] Mutter/ – in Tinte.